Die schmerzfreie Enthornung der Zicklein ist anspruchsvoll und kann nur unter Vollnarkose korrekt erfolgen. Weil dafür ein Anästhetikum verwendet werden muss, das auch als Partydroge gilt, darf der Eingriff heute nur noch unter Anwesenheit einer Tierärztin oder eines Tierarztes durchgeführt werden. Im Folgenden wird beschrieben, wie angewandte Forschung zur heutigen Regelung geführt hat.
Schon mit dem ersten Schweizer Tierschutzgesetz von 1978 wurde vorgeschrieben, dass schmerzhafte Eingriffe am Tier nur unter Schmerzausschaltung durchgeführt werden dürfen. Da man lange Zeit glaubte, dass ganz junge Tiere kaum Schmerzen empfinden würden, gab es im Gesetz eine lange Liste von Ausnahmen, bei denen eine Schmerzausschaltung nicht vorgeschrieben war. Dazu gehörte auch das Kastrieren und Enthornen von jungen Nutztieren. Dass sich diese Einschätzung als falsch erwies, wurde 2001 bei der Revision der Tierschutzverordnung berücksichtigt, siehe Kasten «Ausnahmen von der Pflicht zur Schmerzausschaltung – die Liste wird kürzer».
Kurse zur Schmerzausschaltung für Tierhaltende
In der Abwägung zwischen den Interessen der Tierhalterinnen und Tierhalter und den Forderungen nach schmerzfreiem Enthornen und Kastrieren entstand ein schweizerischer Kompromiss: Tierhaltende, die ihre eigenen Kälber, Zicklein, Lämmer und Ferkel selber enthornen oder kastrieren wollen, müssen seitdem einen sogenannten Sachkundenachweis erwerben. Dazu wird ein vom BLV und Bundesamt für Landwirtschaft gemeinsam anerkannter Theoriekurs absolviert und die Eingriffe unter Aufsicht der Bestandestierärztin oder des Bestandestierarztes praktisch geübt. Sobald der Tierhalter den Eingriff selbständig durchführen kann, bestätigt die Bestandestierärztin dies gegenüber dem kantonalen Veterinärdienst. Anlässlich von Tierschutzkontrollen wird überprüft, ob die Eingriffe korrekt durchgeführt werden. Die Überprüfung umfasst auch den fachgerechten Umgang mit den verwendeten Tierarzneimitteln und die vorschriftsgemässe Dokumentation.
Im Fall der Enthornung von Zicklein sind es rund 80 Ziegenhalterinnen und Ziegenhalter, die den Sachkundenachweis erlangten. Viele Tierhaltende überliessen den Eingriff von Anfang einer Tierärztin oder einem Tierarzt.
Schonendes Enthornen von Zicklein ist anspruchsvoll
Aus verschiedenen Gründen können Zicklein für das schmerzfreie Enthornen nicht nur lokal anästhesiert werden, wie das beim Kalb üblich ist. Vielmehr ist eine Vollnarkose nötig, die jedoch mit beträchtlichen Risiken verbunden ist. Es ist deshalb auch für Ziegenhaltende mit Sachkundenachweis schwierig, die Enthornung unter Vollnarkose korrekt durchzuführen: Die Mischung aus zwei verschiedenen Medikamenten muss den Tieren in die Muskulatur gespritzt werden. Zicklein sind feingliedrig und haben zum Zeitpunkt der Enthornung, d.h. höchstens drei Wochen nach der Geburt, noch nicht viel Muskulatur. Deshalb kann es zu Fehlinjektionen kommen, welche die Wirksamkeit der Narkose beeinträchtigen. Ziegen reagieren zudem auf verschiedene Medikamente empfindlicher als zum Beispiel Rinder, was das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen erhöht. Verabreichte Narkosemittel wirken beim einzelnen Tier zudem unterschiedlich stark. Ein Nachdosieren bei zu schwacher Wirkung braucht eine tierärztliche Überwachung. Das Risiko für Kreislauf- und Atemprobleme ist sonst zu gross.
Wissenschaftliche Studie bestätigt Herausforderungen
Im Bewusstsein um diese Risiken hat das BLV 2017 eine Studie in Auftrag gegeben. Es sollte überprüft werden, ob das Enthornen von Zicklein durch Tierhaltende mit Sachkundenachweis korrekt erfolgt.
Die Wiederkäuerklinik der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern hat dabei rund dreissig Ziegenbetriebe besucht und die Tierhaltenden beim Enthornen beobachtet. Im Rahmen dieser Studie waren nur gut die Hälfte der 168 wissenschaftlich ausgewerteten Narkosen genügend tief: Die Zicklein zeigten keine Reaktionen auf die Einwirkung des Brennkolbens. In fast der Hälfte der Narkosen war die Schmerzausschaltung jedoch ungenügend. Bei knapp jedem fünften Tier wurden starke Reaktionen festgestellt.
Diese Resultate zeigten, dass es für die Zicklein häufig schmerzhaft ist, wenn Tierhaltende mit der vorbereiteten Einzelspritze arbeiten und keine Möglichkeit haben, die Narkose dem einzelnen Zicklein angepasst zu dosieren.
Illegaler Drogenhandel hat Einfluss auf das Enthornen von Zicklein
Die einzige von BLV und BLW anerkannte und bewilligte Methode zur Schmerzausschaltung bei der Enthornung von Zicklein durch Tierhaltende ist die Vollnarkose mit Xylazin und Ketamin.
Ketamin wird für die Anästhesie in der Veterinär- und Humanmedizin breit eingesetzt. Die Substanz kann aber auch als Rauschmittel verwendet werden. Der Missbrauch als Partydroge hat in den letzten Jahren weltweit zugenommen. Seit dem 1. Mai 2019 ist Ketamin deshalb auch in der Schweiz strenger reguliert und wurde ins Betäubungsmittelrecht aufgenommen. Dies hat Auswirkungen auf die Verschreibung und Abgabe des Medikaments für Tiere, indem Tierärztinnen und Tierärzte Ketamin nicht mehr an Tierhaltende abgeben dürfen.
Nur noch Tierärztinnen und Tierärzte dürfen Zicklein narkotisieren
Die Erkenntnisse aus der Vetsuisse-Studie und die neue Regulierung von Ketamin hatten Auswirkungen auf die Enthornung von Zicklein. Seit Ende 2019 muss die Narkose von einer Tierärztin oder einem Tierarzt eingeleitet und während des Eingriffs überwacht werden. So bleiben die Medikamente in den Händen der kompetenten Fachpersonen und jedes Zicklein erhält diejenige Dosis, die es für eine schmerzfreie Enthornung braucht. Tierärztinnen und Tierärzte dosieren die verschiedenen Medikamente einzeln nach Wirkung und haben zur Kontrolle von Nebenwirkungen oder bei Narkosezwischenfällen alles Notwendige zur Verfügung.
Ausnahmen von der Pflicht zur Schmerzausschaltung – die Liste wird kürzer
Unsere landwirtschaftlichen Nutztiere tragen Ohrmarken, Hunde und Pferde müssen gechippt sein. Kaum jemand würde für solche Eingriffe eine Schmerzausschaltung fordern, weil eine vorgängige Anästhesie mindestens so belastend wäre wie der kurzzeitige Schmerz beim einmaligen Stich. So fällt denn das Markieren von Tieren unter die gesetzlich festgelegten Ausnahmen. Bis 2001 waren eine lange Reihe von sogenannt «zootechnischen» Eingriffen unter diesen Ausnahmen aufgelistet. In einem ersten Schritt wurde damals verordnet, dass junge Nutztiere unter Anästhesie kastriert bzw. enthornt werden müssen. Gleichzeitig durften Ferkelschwänze nicht mehr ohne Anästhesie kupiert werden: Seither tragen Schweizer Schweine ungekürzte Ringelschwänze und 2008 wurde dieser Eingriff ganz verboten. Seit 2010 müssen auch männliche Ferkel unter Narkose kastriert werden. Im Lauf der Zeit ist die Liste dieser Ausnahmen kürzer geworden, was das zunehmende Bewusstsein in Politik und Gesellschaft für den Schutz von Tieren vor Schmerzen und weiteren Belastungen durch solche Eingriffe widerspiegelt.
Weitere Informationen
Im Detail
Informationen zum Sachkundenachweis für das Enthornen und Kastrieren von Jungtieren im eigenen Bestand.
Informationen zum Enthornen von Zicklein.
Informationen zur Regulierung von Ketamin.
Publikationen
Tierschutzbericht 2016 (PDF, 12 MB, 22.07.2024): Forschungsarbeiten zur tiergerechten Haltung von Ziegen im Laufstall
Letzte Änderung 22.07.2024