Die Initiative will die «Massentierhaltung» verbieten und die Würde der Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung in die Verfassung aufnehmen. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab.
Die Volksinitiative wurde wie vom Bundesrat und Parlament empfohlen mit 62.9 Prozent abgelehnt. Die detaillierten Resultate finden sich hier.
Ausgangslage
Die Schweiz hat eines der weltweit strengsten Gesetze zum Schutz der Tiere. Würde und Wohlergehen von Tieren sind geschützt, unabhängig davon, wie viele Tiere an einem Ort gehalten werden. Der Bund fördert zudem landwirtschaftliche Produktionsformen, die besonders naturnah, umwelt- und tierfreundlich sind. Das schreibt die Verfassung vor. Immer mehr Nutztiere leben in speziell tierfreundlichen Ställen und haben regelmässig Zugang ins Freie.
Die Vorlage
Die Initiative will den Schutz der Würde von Nutztieren wie Rindern, Hühnern oder Schweinen in die Verfassung aufnehmen. Sie will zudem die Massentierhaltung verbieten, weil dabei das Tierwohl systematisch verletzt werde. Der Bund müsste strengere Mindestanforderungen festlegen für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse pro Stall. Diese Anforderungen müssten mindestens den Bio-Suisse- Richtlinien von 2018 entsprechen und alle Landwirtschaftsbetriebe müssten sie bei der Tierhaltung einhalten. Die Anforderungen würden auch für den Import von Tieren und Tierprodukten wie auch von Lebensmitteln mit Zutaten tierischer Herkunft gelten. Dadurch würden Abkommen mit wichtigen Handelspartnern verletzt. Höhere Investitions- und Betriebskosten, aufwendige Kontrollen in ausländischen Betrieben und eine Verteuerung der Lebensmittel tierischer Herkunft wären die Folge.
Empfehlung von Bundesrat und Parlament
Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab. Nutztiere sind schon sehr gut geschützt. Immer mehr Tiere werden besonders tierfreundlich gehalten. Ein Importverbot für Produkte ohne Bio-Standard in der Tierhaltung wäre nur mit sehr grossem Aufwand durchzusetzen. Viele Lebensmittel würden teurer.
Empfehlung des Initiativkomitees
Laut Komitee wird das Tierschutzgesetz oft als vorbildlich bezeichnet. Das Komitee findet jedoch, dass die Realität in der Landwirtschaft anders aussehe. Die Initiative fordert deshalb eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, regelmässigen Auslauf ins Freie, kleinere Gruppengrössen und eine schonende Schlachtung.
Abstimmung im Parlament
Abstimmung im Nationalrat
106 Nein
77 Ja
8 Enthaltungen
Abstimmung im Ständerat
32 Nein
8 Ja
1 Enthaltung
Der Gegenentwurf des Bundesrates erhielt keine Unterstützung des Parlaments.
FAQ Massentierhaltungsinitiative
1. Grundsätzliches
Die Initiative will den Schutz der Würde von Nutztieren wie Rindern, Hühnern oder Schweinen in die Verfassung aufnehmen. Sie will Massentierhaltung verbieten, weil dabei das Tierwohl systematisch verletzt werde. Der Bund müsste strengere Mindestanforderungen festlegen für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse pro Stall. Diese Anforderungen müssten mindestens den Bio-Suisse- Richtlinien von 2018 entsprechen und alle Landwirtschaftsbetriebe müssten sie bei der Tierhaltung einhalten. Die Anforderungen würden auch für den Import von Tieren und Tierprodukten wie auch von Lebensmitteln mit Zutaten tierischer Herkunft gelten.
Bio Suisse ist der Dachverband (privater Verein) der Schweizer Knospe-Betriebe und Eigentümerin der eingetragenen Marke «Knospe». Er besteht aus rund 7 450 Mitgliedern, die in 32 Mitgliedorganisationen organisiert sind.
Die Bio-Suisse-Richtlinien gehen über die Minimalanforderungen des Tierschutzrechts hinaus; sie enthalten die Vorgaben, welche Betriebe u.a. in der Tierhaltung einhalten müssen, um das Knospe-Label benützen zu dürfen.
Die Bio Suisse-Richtlinien 2018 enthalten u.a. Anforderungen an die Tierhaltung, die Fütterung und den Auslauf, spezifische Höchstbestände für Geflügel, die grundsätzliche Begrenzung des Tierbestands im Talgebiet sowie die Reduktion des Tierbesatzes in höheren Lagen und bei ungünstigen Standortverhältnissen.
Link zu: Bio Suisse
Das Parlament hätte 3 Jahre Zeit, um die geforderten Bestimmungen zu erlassen. Den Betrieben mit Nutztierhaltung könnten für die Umstellung Übergangsfristen bis 25 Jahre gewährt werden, etwa für bauliche Massnahmen.
2. Schweizerische Tierschutz-Standards
Die Schweiz hat eine der weltweit strengsten und detailliertesten Regelungen zum Schutz der Tiere. Würde und Wohlergehen sind gesetzlich geschützt. Niemand darf einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten. Das Misshandeln, Vernachlässigen oder unnötige Überanstrengen von Tieren ist verboten und kann streng bestraft werden.
In der Landwirtschaft ist die Einhaltung des Tierschutzrechts Voraussetzung für Direktzahlungen. Der Schutz des Tieres muss in der Landwirtschaft gewährleistet sein, unabhängig davon, wie viele Tiere an einem Ort gehalten werden. Die Verfassung schreibt zudem vor, dass Landwirtinnen und Landwirte zusätzlich unterstützt werden, wenn sie besonders naturnah, umwelt- und tierfreundlich produzieren. So fördert der Bund seit über 25 Jahren eine besonders tierfreundliche Stallhaltung und den regelmässigen Auslauf ins Freie. 2020 lebten 62 Prozent der Nutztiere in einem besonders tierfreundlichen Stall, zehn Jahre früher waren es knapp 46 Prozent. 78 Prozent der Nutztiere konnten regelmässig nach draussen, zehn Jahre vorher waren es 72 Prozent.
Die Initiative definiert Massentierhaltung als «industrielle Tierhaltung zur möglichst effizienten Gewinnung tierischer Erzeugnisse, bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird». Diese Art der Massentierhaltung ist in der Schweiz bereits heute verboten.
Ist das Tierwohl gewährleistet, besteht aus Sicht des Tierschutzes und insbesondere mit Blick auf die Würde des Tieres grundsätzlich kein Anlass, die Anzahl Tiere zu beschränken. Das Wohl des einzelnen Tieres nimmt nicht automatisch zu, weil auf einem Betrieb weniger Tiere gehalten werden.
Die Anzahl Tiere pro Betrieb ist in der Schweiz heute deutlich kleiner als in andern Ländern. So hat die Schweiz keine Betriebe mit mehr als 27 000 Hühnern. In anderen europäischen Ländern wie Dänemark, Italien oder Niederlande beträgt der Anteil mit Betrieben über 100 000 Hühnern über 50 Prozent, in Grossbritannien gar über 70 Prozent. In der EU wird weiterhin knapp die Hälfte der Legehennen in Käfigen gehalten. In der Schweiz ist die Käfighaltung von Legehennen seit 1991 verboten. Im Vergleich zur Schweiz halten deutsche und französische Betriebe über dreimal mehr Schweine. Auch hat die Schweiz verglichen mit der Einwohnerzahl relativ kleine Tierbestände. So werden in Dänemark pro Einwohnerin und Einwohner 2,3 Schweine gehalten, in der Schweiz sind es nur 0,15 Schweine pro Einwohnerin und Einwohner.
Faktenblatt: Tierbestände Schweiz und Ausland (PDF, 439 kB, 22.06.2022)
3. Folgen einer Annahme der Initiative
Bei den Schweinen und Kälbern bleibt der Maximalbestand von 1 500 respektive 300 bestehen. Auch bei den Masthühnern bleibt der Maximalbestand mit 27 000 gleich, jedoch dürfen pro Stall höchstens 2 000 Hühner gehalten werden. Bei den Legehennen wird der Maximalbestand von 18 000 auf 4000 reduziert, ebenfalls mit höchstens 2000 Legehennen pro Stall. Für ältere und schwerere Tiere gelten zum Teil tiefere Maximalbestände.
Faktenblatt: Tierbestandesbegrenzungen in der Schweiz (PDF, 390 kB, 04.07.2022)
Ja. Lebensmittel tierischer Herkunft, die den strengeren Bio-Vorgaben zur Tierhaltung nicht entsprechen, dürften nicht mehr importiert werden.
Vom Importverbot betroffen wären nicht nur Produkte wie Fleisch, Eier, Milch oder Käse, sondern auch Lebensmittel, die Zutaten tierischer Herkunft enthalten wie Eierteigwaren, Backwaren oder Schokolade. Der Bund müsste für die Importe ein aufwändiges Kontrollsystem aufbauen.
Wenn verlangt würde, dass nur noch Tiere und Lebensmittel tierischer Herkunft importiert werden dürften, die nach dem Bio Suisse 2018-Standard gehalten, respektive produziert wurden, könnte dies zur Kündigung des Agrarabkommens führen.
Die Bilateralen I (einschliesslich Agrarabkommen) sind untereinander mit der sogenannten Guillotine-Klausel verbunden. Wird eines der Abkommen gekündigt, werden auch die anderen automatisch ausser Kraft gesetzt.
Würde die Schweiz die Anforderungen für Importe einseitig auf das Niveau der Bio Suisse-Richtlinien 2018 oder eines vergleichbaren Standards anheben, müsste sie mit Klagen und Gegenmassnahmen anderer Handelspartner rechnen. Der Ausgang einer möglichen Klage bei der WTO wäre offen. Bei einer Niederlage müsste die Schweiz die 32 Freihandelsabkommen mit 42 Partnern ausserhalb der EU neu verhandeln.
Die strengeren Bio-Vorgaben für die Tierhaltung würden auch für Importprodukte gelten. Lebensmittel tierischer Herkunft, die diesen nicht entsprechen, dürften nicht mehr importiert werden. Bundesrat und Parlament müssten auf Gesetzesstufe Vorschläge für die Umsetzung von Importbeschränkungen erarbeiten. Diese würden sowohl für Private wie auch für gewerbliche Importe gelten. Die zuständige Grenzkontrollbehörde wäre für die Umsetzung zuständig.
Etwa 3 300 Betriebe müssten den Tierbestand reduzieren oder die Betriebsflächen vergrössern. Die Kosten der Tierhaltung würden dadurch steigen, viele dieser Betriebe müssten grosse Investitionen tätigen. Berechnungen ( Regulierungsfolgeabschätzung ), die vom Bund in Auftrag gegeben wurden, gehen von jährlichen Mehrkosten von 0,4 bis 1,1 Milliarden Franken aus.
Die Initiative würde sich durch die Reduktion der Tierbestände (im Vergleich zu heute) primär auf die Ammoniak-, Methan- und Lachgasemissionen auswirken. Ammoniak ist ein Luftschadstoff, der aus den Exkrementen von Tieren in die Atmosphäre gelangt und sensible Ökosysteme schädigt. Insgesamt würden durch die reduzierten Tierbestände rund 260 000 Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr weniger ausgestossen. Das entspricht einem Umweltnutzen von 30 bis 140 Millionen Franken pro Jahr ( Faktenblatt: Auswirkungen der Initiative auf die Umwelt (PDF, 613 kB, 22.06.2022) ). Um die Produktion aufrechtzuerhalten, müssten die Betriebe aber neue Ställe bauen; das würde mehr landwirtschaftliche Nutzfläche verbrauchen. Einschränkungen der maximalen Hofdüngerbelastungen und der sogenannten «Düngergrossvieheinheiten» von 3 auf 2,5 würden den Gewässerschutz stärken.
Die Preise für Lebensmittel wie Fleisch, Milch, Käse oder Eier würden wegen den höheren Anforderungen in der Tierhaltung steigen. Dasselbe gilt für Lebensmittel mit Zutaten tierischer Herkunft. Dies würde insbesondere die Konsumentinnen und Konsumenten mit geringen Einkommen treffen. Wegen der höheren Preise in der Schweiz würde wahrscheinlich vermehrt im Ausland eingekauft; der Einkaufstourismus nähme zu. Auch die Betriebe, die in der Schweiz tierische Produkte verarbeiten, müssten dafür höhere Preise bezahlen.
4. Weiteres
Der Initiativtext ist diesbezüglich nicht ganz klar. Das Initiativkomitee stellt sich auf den Standpunkt, dass nur diejenigen Aspekte zur Tierhaltung zu zählen sind, die im vorgeschlagenen Verfassungsartikel explizit aufgeführt werden, d.h. die tierfreundliche Unterbringung und Pflege, der Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse je Stall.
Demgegenüber legt Artikel 6 Absatz 1 des Tierschutzgesetzes (SR 455) bezüglich der Tierhaltung fest, dass wer Tiere hält oder betreut, diese angemessen nähren muss. Dies würde bedeuten, dass auch das Futter den Bio-Richtlinien entsprechen müsste.
Solche Texte werden unter Beizug der klassischen Auslegungsinstrumente «Wortlaut», «Sinn und Zweck»"usw. ausgelegt. Falls die Initiative angenommen würde, müsste das Parlament entscheiden, wie es den neuen Verfassungstext diesbezüglich auslegen will.
Weitere Informationen
Letzte Änderung 26.09.2022